Freitag, 27. Dezember 2019

Die Natur feiert jeden Morgen Premiere





2018 sind auf meinem Balkon viele Kräuter eingezogen. Und seitdem bin ich irgendwie auf gesunde Weise ein bisschen krautsüchtig. Nach dem zartfeinen Duft von Rosmarin, Salbei und Minze. Und nach dem unvergleichlich köstlichen Geschmack von frischer Petersilie, die ich meiner Pflanzenküche so gerne beimische. Ich liebe den Duft der ätherischen Öle, wenn ich sanft über meine Pflanzen streiche. Dann atme ich tief ein, und gleich fühlt es sich ein wenig nach Urlaub an. Ich denke an all die schönen Landschaften dieses Sommers, das Licht der weiten Ebenen, die Zeichnungen der Natur und den ungestümen Tanz der Insekten auf Blüten und Gräsern. Was für ein Fest! In dieser Jahreszeit findet ,an mich mit meiner Fotokamera meist abseits der Wege in einem Gebüsch, denn in diesem Mikrokosmos der Krabbeleien lebt und liebt es gar tausendfach. Potz Blitz! Was man im Kleinen doch so alles entdecken kann!

Auch habe ich wieder einige „Gärten ohne Grenzen” in der Region besucht und mein Näschen an inspirierend schönen Orten natürlich in Dies und Das gesteckt. Wie Alice im Wunderland habe ich Zuflucht unter wahrhaft urzeitlichen Riesenblätterdächern gefunden und daneben die architektonischen Strukturen des japanischen Schachtelhalmes bewundert. Und wie einst ein staunendes Kind durfte ich Teichmolche wiederentdecken und MIilionen von Kaulquappen beim Wachsen zuschauen. Das wird am Ende ein schönes Konzert gegeben haben!




Gut, das klingt jetzt irgendwie ganz nach „Biene Maja”, aber in gewisser Weise trifft es das perfekt. Da wurde Nektar mit ausgetüftelt feinen Werkzeugrüsseln aus Blütenkelchen gesaugt, und über dem glitzernden Fluss tanzten blau gebänderte Prachtlibellen wie winzig wirbelnde Wasserballetttänzer mit einem Tutu zur Sommermusik des Wassers. Sogar der lustig charmante „Flip”, das grüne Heupferd, ist mir begegnet. Ein Riesen-Heupferd wohlgemerkt, und so grün, wie das Gras nun mal grün ist. Ein astreiner Augenschmaus, wer will da schon Fernsehen. Die Natur bietet doch die beste Unterhaltung beim in die Ferne sehen. Und das auch noch kostenlos. Ja, wohl.




Auf meinen Streifzügen konnte ich in mittelalterlich angelegten Gartenanlagen altes Kräuterwissen neu entdecken und wäre anschliessend am liebsten mit dem Zirpen von Zikaden und Feldgrillen im tiefen Gras eingeschlummert. Haben Sie eigentlich schon mal dem nächtlichen Rauschen von Gräsern im Wind gelauscht? Oder in wogenden Getreidefeldern die Wellen des Ozeans entdeckt, auf einem Baumsofa aus Moos gesessen, die unglaublich vielen Töne von Grün wahrgenommen und so ganz nebenbei festgestellt, dass Schneckenspuren im Sonnenlicht silbern schimmern, als wären sie mit Glitzerflitter bestreut? Die Natur kann so unglaublich absichtlos betörend und beruhigend zugleich sein.

Inzwischen ist nachgewiesen, dass Pflanzen durchaus intelligente Wesen sind, die fühlen, riechen, hören, sehen und auch schmecken können. Und sie können sogar Probleme lösen, sagt der italienische Botaniker Stefano Manusco. Lauschen wir ihren Geschichten, erfahren wir etwas über den Rhythmus in der Natur, über Leben und Anpassung, über Widerstandskraft und Fortpflanzung, über den Umgang mit Wachstumsbedingungen und Ressourcen, über die Gegenwart und Unvergängliches, über Beziehungen und Harmonie, Glück und Freude.




Und denken Sie nur an das uralte Wissen der Hildegard von Bingen. So ein feines Kräutlein beruhigt die Nerven, besänftigt den Magen oder lindert einen schmerzenden Hals im Winter. Und wenn Sie beim nächsten Gang an die frische Luft an einem Gänseblümchen vorbeilaufen, dann bleiben Sie doch kurz stehen und denken Sie daran, dass es auch im Salat wohl mundet oder bei juckenden Insektenstichen hilft. Viele Kräuter am Wegesrand sind wie eine kostenlose Hausapotheke unterwegs. Na gut, bücken müssen Sie sich schon.




Und wer nun denkt, Pflanzen wachsen nur in fruchtbarer, gut gedüngter Gartenerde, der hat nicht die Vielfalt in den Sanddünen am Rande des Meeres bedacht. Denken Sie nur an die orange leuchtenden Büsche des Sanddorns oder die belebend harzig duftenden Pinien. Sogar im salzigen Milieu von Sand- und Schlicklandschaften wachsen pflanzliche Kostbarkeiten, die unseren Magen laben. So habe ich in diesem Sommer „Gemüse aus dem Meer” gekostet. Seespargel, oder auch Salicorne genannt, seviert auf leckerer Pasta in einem niederländischen Hafenstädtchen vom wohl komischsten Kellner der Welt. Delikatiös!




Vielleicht haben Sie ja nach dieser schönen Exkursion in die Natur, so mitten im Winter, schon direkt Lust bekommen, Ihren eigenen kleinen „Stadtgarten” anzulegen, dann sei Ihnen dieses kleine Gefäß nebst Sämereien ans Herz gelegt. Pflanzen Sie die Samen, hegen und pflegen Sie die zarten Pflänzchen behutsam, und erfreuen Sie sich im Sommer an den Düften und der Bekömmlichkeit in Speis und Trank. Probieren Sie doch mal Minzkrokant über einem herzhaft sommerlichen Salat. Noch ein paar essbare Blüten dazu, und fertig ist eine ganz natürliche Kraftquelle. Ich hoffe sehr, dass meine Kräutlein überwintern, und im nächsten Jahr wird wohl sicher noch das eine, das nächste oder das andere Kraut hinzukommen.




Am 21. Dezember 2018 ist Wintersonnenwende. Ind er längsten Nacht des Jahres verabschieden wir die Dunkelheit. Die Tage werden wieder länger, und wir feiern mit dem Christfest das Licht in der Welt. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, Sie freudig ins Jahr 2019 zu entlassen und mich gemeinsam mit Ihnen auf das Neue Ja zu freuen. Und immer auch auf die Hoffnung, dass wir Menschenpflanzen uns gegenseitig Raum geben und einander zugeneigt zu einem blühenden Akkord werden, denn nur im Schatten eines Anderen werden wir nicht gedeihen. Darin liegt das Geheimnis. Spannen Sie einen weiten Himmel über alles.
Mit offenem herzen sage ich Danke für die schönen bereichernden und einzigartig köstlichen Aufträge. Danke auch für all die aufgefundenen Schneckenhäuser, die vielen Pflanzen, Steine, Beeren und Stöckchen, ich bin eben eine Sammlerin. Auch von Ideen. Wir sehen uns. Ganz sicher in einem wunderbaren Garten. Egal ob an Land oder am Meer. Ahoi!

Von Herzen, Martina Seresse