Mittwoch, 27. Dezember 2017

Erinnerung






Kennen Sie das? Da betrachtet man ein Foto aus vergangenen Zeiten, und wie von Zauberhand entstehen Bilder und gemeinsam Erlebtes plötzlich wieder ganz lebendig in den Gedanken. Selbst längst vergessene Düfte, Farben, Muster, Musik und Emotionen sind ganz eng mit persönlichen Erlebnissen verknüpft. Alles lebt in unserer Erinnerung weiter.
Ein berühmter Dichter hat mal vermerkt, die Erinnerung sei das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Nun, ich weiss nicht, wie man sich paradiesische Zustände genau vorzustellen hat, man denke nur an die Geschichte der beiden Nackten mit dem Apfel, die nicht wirklich gut ausgegangen ist. Daher möchte ich persönlich die Erinnerung lieber als meine Schatzkammer bezeichnen, in der ich gute, lustige, berauschende, liebevolle, magische und wundervolle Momente sammeln kann. Aber auch die weniger guten finden darin ihren Platz. Wären sie alle nicht da, wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin.




Da fällt mir sofort meine diesjährige Reise ein: Gleich zu Beginn habe ich bei der Besichtigung einer Burg einen geradezu kunstvollen Sturz hingelegt, wobei ich es auf grazil komische Art geschafft habe, meine Fotokamera so zu halten, dass das gute Stück heil blieb. Ich kann mich noch ganz genau an das Geräusch der rollenden Steine erinnern.
Da bekommt der Begriff „mitreissend” doch gleich eine ganz neue Bedeutung. Oder das winzig kleine Schneckenhaus, das mir immer wunderbar schräg im Gedächtnis bleiben wird, weil es einen so ungestüm authentischen Duft nach Meer verströmte. Ich möchte mich geradezu verkugeln, wenn ich nur daran denke.
Auch den Schrei der Möwe, die ich in ihrem luftigen Flug auf ein Foto bannen konnte, kann ich immer noch hören, genauso wie das Spiel des Windes, der nach Salz und einem weiten fernen Land schmeckte. Nicht zu vergessen den Duft von gesalzenem Karamel, der auf immer mit dieser Reise verbunden sein wird.




In letzter Zeit erinnere ich mich oft an meine Kindheit, an das wilde Toben im Schnee und das unbeschwerte Spielen in Freiheit, an die Länge der Tage und dass alles irgendie größer war. Und das Gras grüner. Irgendwie. Sie wissen schon.
Vielleicht liegt es ja daran, dass ich wieder am Ort meiner Kindheit wohne, an dem jede Straßenecke mit einem Teil meines Lebens verknüpft ist. Auf eine besondere Weise habe ich genau dort etwas wiedergefunden, das ich bereits verloren glaubte. Dabei musste ich mich nur erinnern, dass ich es wert bin, es wiederzufinden.
Nicht selten neigen wir dazu, Vergangenes zu verklären. Oder zu verdammen. Es kommt stets auf die Schublade an, in die wir Erlebtes ablegen. Jeder von uns trägt seine ganz persönlichen Erinnerungen im Herzen, sie können es hart oder weich werden lassen, wir können uns damit leer oder erfüllt fühlen, bedrückt oder glücklich.
Leben ist alles. Schmerzlich. Unbändig. Und herrlich. Tränenreich. Wundervoll. Und köstlich. Es geht um die ganze Summe an Erinnerungen, Erfahrungen und Hoffnungen, die, verknüpft mit den Menschen an unserer Seite, das Leben ausmachen. Es sind die Erlebnisse, die uns gemeinsam den Atem raubten, Momente, in denen wir zusammen so gelacht haben, dass uns vor Freude die Tränen kamen, und zusammen geweint, weil uns gerade mal das Lachen vergangen war.




Wieder eine andere Sache ist die der Intensität, mit der wir unsere Erinnerungen verknüpfen: Manche erscheinen flüchtig wie Wolken, manche wie in Stein gemeisselt, je nachdem, mit welchen Emotionen wir sie verbinden.
Womit wir wieder bei den Steinen gelandet sind und deren reizvolle Lochmuster, die mich als bekennende Strandgutsammlerin ebenfalls beschäftigt haben. Eine mutige Stimme sprach von mir als einer „steinreichen Frau”.
Na schön dann. Dabei war es mein usprünglicher Plan, Treibholz zu sammeln, aber das ist eine andere Geschichte.

Der Bielefelder Gedächtnisforscher Hans Markowitsch sagt „wir schaffen unsere Erinnerungen selbst”. Erinnerungen sind der Wissenschaft zufolge dynamische Rekonstruktionen selektiv wahrgenommener Informationen, emotional gefärbt und manipulierbar. Das bedeutet, dass wir einmal Erlebtes nicht nur mit dem jeweiligen emotionalen Kontext abspeichern, sondern es auch durch das Abrufen aus dem Gedächtnis verändern, je nachdem, in welcher Stimmung wir uns gerade befinden und mit welcher Person wir darüber sprechen, denn auch deren Sichtweise hat einen Einfluss auf uns. Speichern wir es dann erneut ab, könnte es bereits verändert sein. Und dies kann sich beliebig wiederholen.
Das Gedächtnis ist keine Festplatte mit fester Organisationsstruktur, sondern höchst wandelbar. Stellen Sie sich mal das Durcheinander in Ihren digitalen Aktenordnern vor!
Ganz schön kompliziert, oder? Können wir denn unserem Gedächtnis überhaupt noch trauen? Ganz verwegen wird es, wenn wir Gruppenerinnerungen betrachten. Denken Sie doch nur an Facebook und die Antworten zu Kommentaren eines Kommentars auf die Antwort zu einer Frage, die man selbst gar nicht gestellt hat. Sie sehen, man mag nicht darüber nachdenken. Sie dürfen es auch gleich wieder vergessen.




Nun frage ich mich wiederum oft: Was wäre wenn? Wenn es keine Erinnerung mehr gäbe? Wenn Tränen nicht mehr schmerzen und an jedem Tag Heute ist. Wäre es einfacher oder leichter? Reicht uns das Glück der Gegenwart oder müssen wir alles in die Waagschale werfen, um das gegenwärtige Glück zu begreifen? Wären dann die Tage noch farbig, oder würden wir in einem Film mit vielen Grautönen leben, angepasst und unbeeinflusst von unseren gebundenen Gefühlen. Ist ohne Erinnern eine persönliche Identität überhaupt möglich? Wenn Tränen nicht mehr trocknen dürfen, verlernen wir, das Salz des Lebens zu schmecken. Dann wäre auch das Lachen kein Lachen mehr, weil wir vergessen haben, wie es sich anfühlt.

Ein weiteres interessantes Phänomen ist das Zeitkontinuum. Nein, wir sind nicht bei Raumschiff Enterprise, obwohl ich mich sehr gerne an die Serie erinnere.
Vielmehr beschäftigt uns die Frage, warum uns die Zeit, die das erste Drittel unseres Lebens umfasst, so sehr viel länger vorkommt als die erlebte Zeit im Heute, wo doch gemessen an Tagen ein Jahr immer nur ein Jahr darstellt. Ganz einfach: 70 Prozent der intensivsten Erinnerungen eines Menschen stammen aus dem ersten Drittel seines Lebens, die verbleibenden 30 Prozent verteilen sich auf die beiden restlichen Drittel, und genau da sammeln wir – so sieht es die Wissenschaft – viel weniger an überraschenden und neuen Erfahrungen als in unserer Jugend. Je mehr Erinnerungen in einem Zeitintervall gespeichert sind, umso länger erscheint es uns. Und die verbleibende Zeit rauscht mangels sogenannter „Pioniererfahrungen” gleich einem Wasserfall ruckzuck an uns vorbei. Na toll.




Also lebe ich doch lieber mit meinen schönen Fotos, die mir zeigen, wie blau der Himmel war, oder ich lasse den feinen Sand wieder durch meine Finger rieseln, um dem Strand nahe zu sein. Ich betrachte mit Staunen das Rochenei, das ich entdeckt habe und freue mich über die vielen Austernschalen, die meinem Sammelfieber erlegen sind. Nein. Perlen habe ich keine darin gefunden, doch ich bin sicher: Meine Erinnerungen bleiben wie kostbare Schätze im Meer meiner Gedanken. Und wenn es mal zu schnell gehen sollte, hole ich einfach die Segel ein und träume mich an ein entferntes Ufer, wo die See stürmisch aber beruhigend ist, und der Horizont neue verlockende Abenteuer verspricht.


Und so entlasse ich Sie mit einer Anregung ins Neue Jahr 2018: Denken Sie sich etwas aus! Tun Sie etwas Verrücktes. Lassen Sie es Rosen regnen. Schauen Sie hoch in den Himmel und entdecken Sie in den Wolken weisse Elefanten, Zuckerwatteherzen oder bärtige Giraffentiger. Tanzen Sie im Regen und hören Sie den Schmetterlingen beim Lachen zu. Sammeln Sie alles. Und wenn Sie daran denken, machen Sie doch noch ein schönes Foto und kleben es hier ins Buch. Vielleicht füllen Sie dieses mit Ihren eigenen ganz persönlichen Momenten, vielleicht legen Sie es aber auch in Ihren Geschäftsräumen aus und sammeln Erlebnisse, Anregungen und Ideen zusammen mit Ihren Kunden. Wie immer Sie es nutzen möchten, es werden Ihnen stets gemeinsame Kostbarkeiten bleiben.

Feiern Sie ein unvergessliches Weihnachtsfest, an das Sie sich immer gerne erinnern werden. Ich freue mich bereits auf viele normale, verrückte, unglaubliche, kreative und inspirierende Aufgaben, die ich gemeinsam mit Ihnen im neuen Jahr umsetzen darf. Für all die Menschen und Begegnungen sage ich Danke. Natürlich auch für die damit verbundenen schönen Erinnerungen! Und die Steine am Strand. Selbstredend. Ahoi!


Von Herzen, Martina Seresse