Freitag, 2. Januar 2015

Auf den Spuren der Genussspechte

Zugegeben: als ich das Motto «Genuss» für meine Jahresgrüße gewählt habe, war mir nicht klar, dass es mich in die eigene Vergangenheit führt. Zunächst mal die reinen Fakten: Der Duden erklärt Genuss mit Freude und Annehmlichkeit, die jemand beim Genießen von etwas empfindet. Andere Umschreibungen lauten Lust, Vergnügen, Erquickung, Gaumenkitzel, Labsal, Wonne, Sinnesfreude … Ich möchte mich überwiegend auf meine ganz einfachen kulinarischen Erinnerungen beschränken, denn ich versuche, mir diese zurückzuerobern. 


„Du mußt es geniessen!” Auch das noch! _ Walter Ludin.




Ich bin in einem Haus mit Garten aufgewachsen, Obst und Gemüse gab es daher je nach Saison reichlich, denn man nahm sich noch die Zeit, Nahrungsmittel anzupflanzen und zu pflegen, um deren Früchte später zu ernten. Als Kind war es für mich ganz normal, Himbeeren direkt vom Strauch zu pflücken, die roten … jummy … und dann waren da auch noch die selteneren gelben, auch sehr lecker.

Heidelbeeren haben wir immer im Wald gesammelt (ich frage mich, wo die hin sind?) und nicht im Supermarkt gekauft. Die schmecken eh nicht nach Heidelbeeren. Kulturheidelbeeren werden sie heute genannt. Ebenso die Brombeeren. Welche Kultur, frage ich? Die der Geschmacksver(w)irrung? Und kennen Sie noch die klitzekleinen echten Walderdbeeren, es dauerte ewig, eine Handvoll zusammenzubekommen, aber das machte sie umso wertvoller. Stück für Stück. Was für ein Gaumenschatzschmaus! Ich kann sie heute noch in Gedanken nachschmecken. Apropo Wald: wo sind nur all die schönen Schlüsselblumen geblieben, die in jedem Frühjahr ganze Wälder bevölkerten (ein optischer Hochgenuss)? 

Meine Mutter machte aus den vielen Zwetschgen einfach Zwetschgensaft, nach dem eine meiner Freundinnen geradezu süchtig war, und ich erinnere mich an einen Pfirsichbaum im Garten mit feinen Früchten. In der Nachbarschaft wurden reiche Ernteerträge wie selbstverständlich untereinander weitergegeben, so bekam jeder etwas vom Genuss ab. Umsonst. Ja gibt es denn sowas?!

Johannisbeeren streifte man sich einfach so von den Stängeln in den Mund, und zu Stachelbeeren hatte ich zugegebenermaßen leider ein verspätetes Liebesverhältnis, dabei sind sie so köstlich. 
Kirschen waren auch etwas ganz Besonderes, denn sie eroberte man mit den Nachbarskindern beim gemeinsamen Erklettern besagter Bäume. Dieses Abenteuer steigerte mein kulinarisches Erlebnis erheblich! Wir haben uns die Kirschstängel um die Ohren gelegt und waren ganz verzückt. Die saftigen Kirschen haben uns nebenbei ein köstliches Gericht beschert. Kirschenpolster, so haben wir es genannt: Kirschen, Zwieback und Vanillepudding. 
Heute kaufen Deutsche eine italienische Marketing-Erfindung mit französischem Namen. Verrückte Welt. Die auf den Bäumen brachten viel mehr Spaß! 
Meine Großmutter setzte stets einen Rumtopf an mit den Früchten des Jahres, er durfte langsam reifen, bis er am Weihnachtsfest auf den Desserttisch kam. Genuss hat viel mit Gelassenheit, Freude, Gemeinschaft und erlebtem Miteinander zu tun.

Maronen. Auch so ein Thema. Esskastanien sagte man bei uns dazu. Wundervoll, wenn im Winter in der warmen Küche die Kastanien langsam in der Pfanne geröstet wurden. Aber ich kenne die Stellen nicht mehr, an denen wir sie gesammelt haben. Ach ja, übrigens, wenn ich Hunger hatte, gab es ein Butterbrot. Doch, ich meine es ernst. Brauchen Sie denn mehr? 

Die Tage sind vergangen, und vieles lässt sich nicht mehr zurückholen. Geblieben sind die Erinnerungen an eine Zeit, in der Kleinigkeiten verknüpft mit geteilten Erlebnissen große Wonne bereiteten. Doch auch in der Gegenwart bleibe ich beim Einfachen. Ich bin gerade süchtig. Ja. Lesen Sie nur richtig. Ich bin süchtig nach Äpfeln. Ich esse sie kiloweise. Oder sie werden kreativ verbacken und mitverkocht. Knackig, saftig, und allein der Duft beim aufschneiden. Köstlich. Ich bin sozusagen meine eigene pure Apfelmundsaftpresse. Nun ist der Apfel ja bekanntlich ein Sündenfall, und somit kommen wir gleich zum Lustfaktor, welcher die Begrifflichkeit des Wortes Genuss verschämt errötend begleitet. Genuss ist also durchaus auch mit erotischer Sinnlichkeit und Hingabe verbunden. Dabei fällt mir Dionysos ein, der Gott des Weines, der Freude, der Trauben, der Fruchtbarkeit und der Ekstase. Ja, ja, schon gut. Nur nicht abschweifen in tiefer gehende Vergnügungen. Jedoch bleibt die Erkenntnis, dass ein genussvoller Moment in unserer Seele und gleichsam unserem Körper verankert wird. Also alles entspannt.


Hatte ich von erröten gesprochen? Gut. Rot. Ja, Tomaten, die roten, werden bei unseren österreichischen Nachbarn Paradiesäpfel genannt, aber versuchen Sie heute mal, eine paradiesisch schmeckende Tomate zu kaufen. Mein Vorsatz für das nächste Jahr lautet deshalb: Tomaten auf dem Balkon anbauen. 


Überhaupt. Die Österreicher: Dort nennt mann einen Feinschmecker umgangssprachlich Genussspecht. Ich finde das extraordinär herrlich! Und wussten Sie, dass es bereits eine mit einem Patent angemeldete Genusstrainerin gibt? Steht es schon so schlimm um uns? Nach all dem exotisch hochgezwirbelten Pipapo züchten wir jetzt alles zurück, sogar die Möhren werden wieder gelb – sie wurden bei uns sowieso Gelbrüben genannt. Die nehmen auch nur Butter und Salz. So genügsam.

Noch eines kurz … die unverschämt köstliche Kürbissuppe, die musste es wieder sein in diesem Herbst, aber eben ganz einfach, pur, ohne den ganzen Trüffelschickimicki, bestenfalls ein paar Kastanien dazu. Heisst es nicht: Genuss pur? Also gönnen wir uns doch das PUR, mit Zeit, Liebe und manchmal dem Einfachsten, das gerade da ist. Und geben Sie ein Stückchen davon ab. Vom Kuchen oder von was Sie sonst möchten, aber bitte ohne Smartphone und Tablet. Obwohl, auf so einem Tablet(t) könnte man doch ein schönes Stück Apfelkuchen mit Puderzucker servieren, oder? Was meinen Sie?

Danke für das Vertrauen und die Beauftragung manch augenscheinlicher Genussmomente. Ich bin sicher, sie verbleiben nachhaltig und geben Anregung zu weiteren neuen sinnlichen und sinnvollen Kreationen. Ganz einfach. Ganz pur. Aber immer fein. Verwöhnen Sie sich ruhig ein wenig in diesen Tagen, es muss ja nicht immer Zuckergebäck sein, auch ein Moment der Besinnung, Musik oder ein Waldspaziergang sind gut für Körper und Seele. Bis zum nächsten Jahr. Vielleicht sehen wir uns … in einem Kirschbaum …


Herzlichst, Ihre Martina Seresse

P.S. Und halten Sie nach den Spechten Ausschau!